Was ist schädlicher – politischer Protest oder eine unpolitische Universität?

Im Juni letzten Jahres bin ich in die Vorlesung eines früheren Professors von mir gegangen, bei dem ich auch meine Abschlussarbeit geschrieben hatte. Ich habe ihm gesagt, dass die heutige Vorlesung nicht stattfinden wird. Einige weitere Menschen waren mit mir dort, im Audimax II der Universität Hamburg – alle von der Letzten Generation. Wir haben den Hörsaal an diesem Morgen besetzt.

Ich hatte den Eindruck, dass der Professor mich nicht wiedererkannte. Das ist verständlich, denn ich bin ich auch kaum wiederzuerkennen im Vergleich zu Studienzeiten. Damals war ich unpolitisch, habe den gesamten Sommer in der Bibliothek verbracht, statt auch nur einmal nach links und rechts zu schauen. Jetzt bereue ich es, im Kampf um unser ehemals stabiles Klima wichtige Jahre verschwendet zu haben, bis weit nach meinem Abschluss die gesellschaftlichen Verhältnisse so wenig hinterfragt zu haben.

Auch die weiteren Vorlesungen an dem Tag fielen aus. Stattdessen boten wir Vorträge über die Klimakatastrophe und über zivilen Ungehorsam gegen die Untätigkeit der Bundesregierung an. Als alle Vorlesungen aus dem Audimax II ins Audimax I verlegt wurden, verhinderten wir auch den Betrieb in diesem Hörsaal. Wir waren entschlossen, so zu protestieren, dass wir nicht ignoriert werden konnten.

„Sie konnten ungestört studieren, als Sie hier an der Uni waren“ sagte mein ehemaliger Professor an dem Tag zu mir. „Lassen Sie diese Studierenden das doch auch tun“. Doch haben wir das Recht, einfach immer so weiterzumachen? Unserem Alltag nachzugehen, während wir das letzte Zeitfenster verstreicht, die unwiederbringliche Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschheit aufzuhalten? Sind Universitäten nicht gerade der Ort, um gesellschaftlichen Wandel einzufordern? In der Vergangenheit gingen von hier wichtige Impulse aus. Gerade die Klimakatastrophe verlangt als Reaktion einen Bewusstseinswandel so tiefgreifend und allumfassend, dass es schwer vorstellbar ist, wie er ohne die Universitäten gelingen soll.

Laut ihres Leitbilds will die Universität Hamburg ein Ort der politischen Auseinandersetzung sein. Eine Mittlerin zwischen Wissenschaft und Praxis, im Bewusstsein ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Im Rahmen unseres Protests offenbarte Uni-Präsident Hauke Heekeren, wie er diese Worte auslegt. Unsere Bedingung für die Beendigung der Besetzung war, dass er im Namen der Universität einen öffentlichen Brief an die Bundesregierung schriebe, dass es angesichts der Klimakatastrophe keine neuen fossilen Projekte geben dürfe. Im Gespräch mit uns sagte er, dies sei „nicht die Aufgabe dieser Universität“.

Der Uni-Präsident bezog keine andere politische Position als wir, er wollte gar nicht Position beziehen. Eine Universität, die sich weigert, politisch zu sein. Das erinnert an Menschen, die sich ins Private zurückziehen, die sagen „Ich kauf‘ doch schon bio!“ und denken, dass ihr Einflussbereich sich damit erschöpft. Dazu passt, dass Herr Heekeren im Gespräch mit uns die vegetarische Mensa hervorhob, die die Uni mittlerweile habe.

An unserer Forderung festhaltend, dass die Uni ihren Einfluss öffentlich geltend machen soll, entschieden wir, den Protest zu intensivieren. Wir sprühten orangene Warnfarbe an die Glasfront des Audimax. Auf ein Banner schrieben wir „Lebensgrundlagen erhalten? Nicht Aufgabe dieser Uni“.

Für die Reinigung des Audimax hat die Uni Hamburg gut 30.000 € bezahlt. In der ersten Instanz des Gerichtsprozess gegen mich sagte der Richter, er fände es schlimm, einer unterfinanzierten Universität solche Kosten zu bescheren. Ich finde es schlimm, dass ebendiese Universität Zeit ein Vielfaches dieser Summe für Nachhaltigkeitsforschung aufwendet und dann nicht bereit ist, auch nur ein Wort zu sagen, wenn die Bundesregierung diese Forschung komplett links liegen lässt.

Im Hamburger Abendblatt sagte ein Sprecher der Universität, dass geplant sei Schadensersatz von uns zu fordern, sobald die Gerichtsentscheidungen abschließend gefallen seien. Ich denke, zukünftige Generationen hätten alles Recht, Schadensersatz von der Universität Hamburg zu fordern. Denn was richtet mehr Schaden an – Farbe an einer Fassade oder eine unpolitische Universität?

Das Audimax war übrigens wunderbar weiter benutzbar. Noch während seine Wände orange eingefärbt waren, gingen Studierende darin weiter zu Vorlesungen. Das Einzige, was passieren konnte, war, dass sie sich nun vielleicht dachten, was ist hier passiert? Stimmt irgendetwas nicht? Und das sind genau die Gedanken, die wir nicht einfach wegwischen sollten.

Schadensersatz von der Universität Hamburg zu verlangen ist natürlich Quatsch. Der Schaden, den die Uni Hamburg mit ihrem Wegducken auslöst, ist mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen. Keine Reinigungsfirma der Welt wird die Zerstörung wiederherstellen können, die wir zurzeit unwidersprochen geschehen lassen.

1 Kommentar zu „Was ist schädlicher – politischer Protest oder eine unpolitische Universität?“

  1. gut begründet!
    großen respekt das du bereit bist dich so intensiv zu eangagieren.
    Für den langen Atem empfehle ich das „Handbuch des nachhaltigen Aktivismus“ von Timo Luthmann

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen